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Schrei vor Glück – oder schick's zurück. Die Rücksende-Praxis im deutschen Mode-Handel ist allgegenwärtig. Mit über 50% Retourenquote kämpfen Unternehmen mit hohen Kosten, die ihre Rendite belasten. Doch wie können diese Gründe identifiziert und minimiert werden? Wir werfen einen Blick auf die Zahlen und Fakten.

Unser aktueller Beitrag in der Ausgabe 15 der Textilwirtschaft zum Thema "Retouren".

Im deutschen Mode-Online-Handel gehen zwei von drei Paketen zurück. Für Unternehmen sind die Kosten ein Rendite-Killer. Die Rücksende-Gründe aufzuspüren, kann helfen, eine Gebühr könnte es auch.

04 2 retouren zahlen und fakten

Schrei vor Glück – oder schick’s zurück. Diesen Spruch, auch wenn er einige Jahre alt ist, kennen alle. Mit dieser Werbung etablierte sich Zalando als fester Bestandteil im Modehandel. Auch wenn der zweite Teil des Satzes später entfiel, die Kundschaft fand mehr und mehr Gefallen am Online-Bestellen und am Zurückschicken. Und die Unternehmen machen es ihr einfach: Rückgabefristen von 100 Tagen sind eher die Regel als die Ausnahme, das kostenfreie Retournieren in Deutschland sowieso. Der Preis dafür: Retourenquoten in der

Fashion-Branche von über 50 %. Die Kosten für die Händler – immens. Im deutschen ECommerce ist die Retourenquote traditionell hoch – auch,weil Zalando in den Nullerjahren den kostenlosen Versand und Rückversand salonfähig gemacht hat. Zur Retouren-Thematik finden sich viele Zahlen (Seite 24), die sich, je nach Studie, teils sogar widersprechen.So fand die jüngste Umfrage des Branchenverbands Bitkom heraus, dass in Deutschland jeder zehnte Online-Einkauf retourniert wird. Dabei schicken Frauen im Schnitt 12 % ihrer Bestellungen zurück, bei den Männern sind es 8 %. Jugendliche und junge Erwachsene geben 13 % der Käufe wieder in die Post. Im deutschen Online-Modehandel werden durchschnittlich zwei von drei Paketen wieder an Händler oder Hersteller zurückgeschickt. Auf Artikel-Ebene liegt die Quote bei knapp 34 %. Das ist eines der Ergebnisse einer Studie der Forschungsgruppe Retourenmanagement der Uni Bamberg. Ein weiteres: 2021 wurden hierzulande so viele im Netz bestellte Fashion-Artikel zurückgeschickt wie in keinem anderen europäischen Land. Damit haben sich die Deutschen innerhalb Europas an die Spitze des Retouren Rankings Mode katapultiert. Bezogen auf Online-Bestellungen im Allgemeinen, sind die Schweizer spitze. 2022 haben sie 28 % ihrer E-Commerce-Käufe nicht behalten und lagen damit 14 Prozentpunkte über dem europäischen Schnitt.

Das Hin- und Hergeschicke macht nicht nur jegliche CO2-Bilanz zunichte, es kostet auch Händler und Hersteller immens viel Geld. 1,83 Euro kostete 2021 der Transport einer Rücksendung auf Artikel-Ebene, sagt Björn Asdecker. Dazu kamen dann noch Bearbeitungskosten von im Schnitt1,60 Euro. In Summe also 3,43 Euro pro Artikel, erklärte der Retourenforscher der Uni Bamberg in einem TW-Interview. Deutlich höher seien die Kosten auf Sendungsebene. Der Transport eines Pakets schlug mit 5,29 Euro zu Buche, für die Bearbeitung wurden 4,62 Euro fällig. "Somit werden pro Retourensendung im Schnitt 9,91 Euro fällig“, so Asdecker. Retouren sind eine große Herausforderung und ein Rendite-Killer. Um der Kosten Herr zu werden, haben inzwischen die ersten Unternehmen die Gratis-Rücksendungen gestrichen. Uniqlo und Zara sind bereits dabei, H&M testet aktuell ein entsprechendes Bezahlmodell in Norwegen und Großbritannien. Deutschland als wichtigster Markt dürfte auch auf der Liste stehen. Der Großteil der Bearbeitung der Rücksendungen erfolgt manuell, oftmals durch Fachkräfte wie Textiltechniker und Textilingenieure. In den meisten Fällen übernehmen die Logistik-Dienstleister diese Arbeit für ihre Kunden und bieten dafür Komplett-Pakete an. Dieser Service sei ein logischer Schritt. Schließlich lagern die meisten Logistiker für ihre Kunden die Waren ein und verschicken sie. Die Rücksendungen kommen dann ebenfalls zu ihnen, werden bearbeitet, wenn nötig aufbereitet und dann wieder in den Warenkreislauf gebracht.

Dass die Retourenquoten bei Fashion in den vergangenen beiden Jahren nochmals nach oben gegangen sind, wundert Hubert Borghoff nicht. Schließlich habe die Pandemie dem E-Commerce nochmals einen Push gegeben, so der Logistik-Leiter bei Group 7. Dennoch müsse den Gründen für das Zurückschicken auf den Grund gegangen werden. Zu groß oder zu klein komme am häufigsten vor, weiß Lisa Richter. Sie leitet die operativen Prozesse im E-Fullfilment bei Best Solutions, einem Spezialisten für E-Commerce Fullfilment und Retail Instore-Logistik, der u.a. für Inditex und H&M arbeitet. „Wenn diese Angabe bei einem Artikel sehr oft vorkommt, schauen wir genauer nach. Wir hatten mal ein Jacken-Modell, das kam zu 80 % wieder zurück. Letztlich stellte sich heraus, die Größenangabe stimmte nicht.“ Deshalb sei der enge Austausch mit den eigenen Kunden ein

Muss. "Wir sind ein Dienstleister, aber eigentlich sind wir Fashion-Berater. Wir sehen alle Gründe, warum Waren zurückgehen und können dadurch unsere Auftraggeber beraten", berichtet Best Solutions-COO Magnus Weiß. Welche Hebel gibt es, Retourenquoten dauerhaft zu senken? Das A und O sind die Artikelbeschreibungen.

Sie müssen auf dem Punkt sein und detaillierte Auskünfte geben. Auch wenn sich an dieser Stelle sehr viel verbessert habe über die Jahre gebe es noch Luft nach oben, meint der Chef eines Logistikers, der seinen Namen nicht gedruckt sehen möchte. Helfen kann auch, den Konsumenten die Kommunikation mit den Marken so einfach wie möglich zu machen, über Messenger-Dienste, WhatsApp oder Chatbots. Ein weiterer Punkt sind in den Augen vieler Dienstleister die Rückgabefristen. 100 Tage seien quasi ein Aufruf, Artikel erst einmal zu tragen und dann wieder zurückzuschicken. Eine weitere Möglichkeit könnte sein,die Verbraucher schon beim Bestellprozess zu sensibilisieren, „etwa durch den Hinweis: ‚Willst du diese Hose wirklich in drei Größen und fünf Farben bestellen?‘“, so Weiß.

Viel Kritik gibt es auch an den Rücksende-Prozessen an sich: Den Konsumenten würden sie sehr einfach gemacht, wenn dem Paket schon alles beiliege, was dafür nötig ist. Wer zunächst einen Retourenschein ausdrucken und zuvor mit dem Kundenservice Kontakt aufnehmen muss, überlege zweimal. Den größten Effekt, der sich zudem recht schnell umsetzen lässt, aber hat eine Retouren-Gebühr. Auch wenn das Thema in Deutschland kontrovers diskutiert wird, beim Blick in die Unternehmens- und Klimabilanz, sind die Auswirkungen eindeutig.

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